Skitourenwoche der Gruppe NABA in Tschuggen am Flüelapass, 22.-29. März 2003
Leitung: Rolf Sägesser, Bergführer
Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Claudia Betschart (Fotos), Vreni
Gubler, Jacques Lamon, Ueli Mosimann, Hans Reinacher, Kurt
Uhlmann, Hansruedi Zoller, Vreni Zoller (Bericht).
Karte | GPS-tracks |
|
|
|
|||||||||||
|
Montag, 24. März 2003: "Grave" Frühstück um 6 Uhr war für unseren Wirt kein Aufwand. Wir konnten uns stärken und waren um 7 Uhr abmarschbereit. Noch lag die mit Hartschnee bedeckte Passstrasse im Schatten, aber die Grate und Firne wurden von der Morgensonne geküsst. Schwarz standen die Arven zwischen den Felstrümmern, filigrane Lärchen, mit kleinen Zapfen geschmückt, präsentierten sich wie zarte Häkelarbeit auf dem weissen Grund. Wir verliessen die Flüela-Strasse am gleichen Ort wie am Vortag, aber Rolf wählte die Route mehr in SE-Richtung, so dass wir nicht nur bequem an Höhe gewinnen, sondern angenehm im Schatten aufsteigen konnten. Blaue Schatten lagen in den Mulden und gaben der Winterlandschaft etwas Weiches. Die aufgehende Sonne beglänzte die Gratschneide und liess nach 2 Stunden Marschzeit den Firn wie ein glitzerndes weisses Tuch aufleuchten. In einer sonnigen Mulde auf ca. 2450 m konnten wir unser Znüni habern. Weiter ging es, wieder angenehm im Schatten, bis wir einen weiten Talkessel erreichten, der vom Nord- und West-Grat des Flüela Wisshorns begrenzt war. Über den Grat stieg bald die Sonne, so dass die Traverse und der letzte Aufstieg zur Winterlücke (2'787 m) in einer Talmulde mit fast südlichen Temperaturen so richtig Lust auf eine Rast machte. Hier konnten wir uns an der Aussicht auf all die bekannten und weniger bekannten Berggipfel fast nicht satt sehen. Allzu rasch verflogen die Minuten und wieder schoben wir hinter Rolf die Skier über den gleissenden Firn zur Einsattelung (2'900 m) am Fuss des E-Grates.
|
|
|
Der Abstieg forderte nochmals etwas
Konzentration, bis wir durstig und verschwitzt nach 1½ Stunden
das Skidepot erreichten. Dann hat Rolf für eine Abfahrtsroute gesorgt, die keine Wünsche offen liess! Unverfahrene Pulverschnee-Hänge wurden von unseren makellosen Spuren gezeichnet, Schussfahrten um sanfte Schneekuppen führten an die nächsten Steilhänge, die ebenfalls in keuscher, jungfräulich weisser Pracht vor uns in einer gähnenden Tiefe endeten, bis wir im Schuss eine warme Mulde und die Spur zum Gegenanstieg auf die Einsattelung (2'771 m) südlich der Jöriflüelafurgga (2'725 m) erreichten. Die Felle wurden aufgezogen, kurz der Magen und der trockene Hals beruhigt und dann ging's bei sommerlichen Temperaturen in wenigen Kehren im weichen Schnee zum Pässchen hinauf (25 Min.).
|
|
||||||||||||||||||||||||
|
Dienstag, 25. März 2003: "Tempo di
Minuetto" Um 7 Uhr wurden am Frühstückstisch die Joghurt verteilt. Um 8 Uhr trippelten wir auf der Strasse hinter Rolf bis zur Barriere. Bereits beleuchtete die Morgensonne unseren Weg. Unter einem klar blauen Himmelsdom zog Rolf federnden Schrittes seine Spur vom Flüelahus nach Westen einen ersten Aufschwung hoch. Nach den letzten Arvengrotzli gab 's den obligaten PH (pisse Halt) und dann folgte eine Traverse um den Tällichopf in den weiten Talkessel des Tälli. Die Felstrümmer trugen dicke weisse Schneehauben und ich wünschte mir eine solch kühlende Schicht auf den Scheitel, denn die Sonne brannte unbarmherzig in die weisse Landschaft. Es soll dort auch Iglus gegeben haben, aber ich habe sie wohl im blendenden Gegenlicht nicht gesehen. Beim Halt auf ca. 2'440 m versuchte jederman, sich nach seiner eigenen Technik vor der brennenden Sonne zu schützen. Bei warmen Temperaturen zogen wir weiter auf sehr bequemer Spur von Rolf bis zur Gulerigenfurgga (2'572 m) empor und über den kleinen Vorgipfel, der eine kurze, giftige Abfahrt zum Skidepot bot. Nun erklommen wir - mit Ausnahme von Jacques - den imposanten
Gipfelaufbau des Baslersch Chopf (2'629 m),
wo wir auf engstem Raum die Aussicht und das Picknick genossen. |
|
|||||||||||||||||||||||||||
|
Allzu schnell verflog die Zeit und Rolf mahnte
zum Aufbruch. Über die bläulich schimmernden Trittstufen
kehrten wir zum Skidepot zurück. Rolf wählte die Abfahrt auf
der Südwestseite, zuerst durch eine firnige, steile Rinne und
später über sulzige Hänge, bis auch hier das
Vergnügen ein allzu frühes Ende fand. Auf ca. 2'300 m wurden
wieder die Felle montiert. Ein paar Sprüche würzten diese
Minuten und unser Lachen war das einzige Geräusch in dieser
stillen Bergwelt. Die Hänge schimmerten silberweiss in der
Mittagssonne. Durch den weichen Schnee schob Rolf seine Ski voraus und
ich genoss das südliche Klima. Als sich mit dem bekannten dumpfen
"Wumm" mehrmals die Schneedecke setzte, hatte Rolf einen zweiten Pfeil
im Köcher, verliess die Route und setzte den Aufstieg nach einer
Querung an einer mit Blöcken durchsetzten Rippe fort, bis wir eine
Einsattelung am Chiselgrat auf 2'561 m erreichten (45 Min.).
Felle runter und eine kurze Rast mit Blick hinunter zur
Flüelastrasse und zum Gasthof Tschuggen.
Zuerst gab's natürlich eine kurze Querung durch einen mit
Pulverschnee gefüllten Hang. Die Schmetterlinge im Bauch waren
noch nicht ausgeschlüpft, es war das klebrige Krabbeln der sich
drahtig vorwärts schiebenden Raupen zu spüren . . . Dann
konnten wir über einen ersten, saftigen Sulzschneehang lustvoll
unsere Spuren ziehen, bis wir unvermittelt im Pulverschnee landeten. In
barocker Üppigkeit tat sich diese Pracht vor uns auf, deren
Oberfläche aber stellenweise bereits etwas kompakt den bodenlosen,
mehligen Schnee verbarg. Für die Cracks unter uns - allen voran
Führer Rolf - natürlich kein Problem, aber Jacques glaubte
bei einem spektakulären Sturz, der ihn sogar seiner grünen
Kopfbedeckung beraubte, sein letztes Stündchen sei gekommen.
Nachdem Vreni und Kurt den Kameraden ausgebuddelt hatten, nahm er doch
dankbar die restliche Abfahrt unter die Skier. |
|
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
Mittwoch, 26. März 2003: "Andante" Um 7 Uhr trafen sich alle am Frühstückstisch, um 8 Uhr starteten wir ohne Jacques und trafen auf dem Parkplatz schon viele Tourengänger an, denn der Mittwoch ist bekanntlich der Sporttag der Senioren. Ergraute Häupter schwärmten in alle Richtungen aus, während wir mit knirschenden Skiern hinter Rolf auf der Passstrasse vorwärts krochen. Schon bald schien die Sonne auf den harten Schnee. Wir zogen vorbei an einer Arve, die sich mit knorrigen Wurzeln wie mit einer urtümlichen Hand an den mit Heidekraut bewachsenen schwarzen Granitblock krallte, über den Flüelabach, der in dunklen Pools zwischen mächtigen Schneepolstern talwärts fliesst, und über die unendlichen Firnfelder, die bald matt schimmernd, bald glasig länzend, bald vom Wind gezeichnet das Sonnenlicht reflektierten. Nach einer Rast auf der Höhe des Flüela Ospiz spurte Rolf endlich im weichen Pulverschnee einer riesigen Flanke entlang, die einen Blick auf den zugefrorenen Schottensee und das geschlossene Ospiz-Gebäude bot. Hier waren wir die einzigen Menschen. Die Landschaft strahlte etwas von Einsamkeit und Grossartigkeit aus, das mich ängstigen würde, wäre ich nicht geborgen in der Gruppe hinter Rolf aufgestiegen. Der Pulverschnee lag tief und dehydriert, aber Rolf zog eine
gute Spur ums Eck und in die Mulde hinter dem E-Grat des Schwarzhorns.
Die Sonne brannte auf unseren Rücken, der Schweiss floss in
Bächen und die Schritte wurden mühsam. Auf ca. 2'780 m gab's
nochmals eine Rast in einer gleissenden, weissen Landschaft, die den
Gipfel des Kleinen Schwarzhorns (2'968 m)
fast unerreichbar scheinen liess. Aber wieder einmal verstand Rolf es,
die Spur so bequem in den weichen Sulzschnee zu legen, dass wir nach
wenigen Spitzkehren eine Einsattelung und dann im Pulverschnee das
Skidepot nach einer knappen halben Stunde erreicht hatten.
In der Falllinie erreichten wir das Ospiz und brachten die
Arme zum Einsatz, bis wir von der Passhöhe hinter Rolf her
über die sanften Hänge bald im Sulz und bald im Powder bis "Weisshornhütte"
(Wägerhus, 2'207 m) rauschen konnten. Ein Blick in die
kleinen Wasserschüsselchen des Flüelabaches boten dem Auge
wohltuende Bergromantik. Nach einem letzten Schluck aus der Flasche
ging's jetzt flott über die Sulzschneepiste der Passstrasse, einer
Gruppe von Ski-, Langlauf- und Schneeschuhläufern geschickt
ausweichend, bis zum Parkplatz, dort vorbei an den im Liegestuhl neben
dem Auto dösenden Senioren, und zum Gasthof Tschuggen. |
|
|
Donnerstag, 27. März 2003:
"Allegro" Frühstück um 7 Uhr, mit Blumenstrauss und Geburtstagskarte!, und Abmarsch um 8 Uhr bei einem leicht milchig überzogenen Himmel. Schon bald konnten die "Harschyseli-Blocher" ihre Hilfsmittel montieren, denn auf dem hartgefrorenen Schnee ging es auf dem von Alpenrosen durchsetzten Hang des Tschuggenbergs steil bergan. Nachdem Jacques den Aufstieg aufgeben wollte, folgte eine Traverse ins Mattjisch Tälli hinein. Unvermittelt konnten wir im Schatten eines Felsgrates sehr angenehm dahin wandern. Ein kurzer Halt, und dann schoben wir die Skier über die gleissende Firndecke durch ein endlos scheinendes Hochtal dem Pischahorn entgegen. Ich wälzte, fast im Halbschlaf, die Reimworte für's Führerbuch durch mein Hirn: Pischa - Grischa - - - es wollte nichts Rechtes herauskommen. Nach einem weiteren Halt im Talgrund auf ca. 2'650 m blieb Jacques zurück und wir stiegen weiter und jetzt steiler hinter Rolf über den Sulzhang empor, an dem plötzlich ein angenehmes Lüftchen wehte. Wir erreichten den Gipfel des Pischahorns (2'980 m), wo ein recht steifer Nordwestwind uns zeigte, wie es auch hätte sein können. . . Wir setzten uns zum Picknick in den Windschatten auf die Nordost-Seite. Rolf überreichte mir mit wenig Worten eine Geburtstagstorte, die ich zum Früchtetee aus der Thermosflasche genüsslich hereinzog. Die Aussicht war nicht mehr so klar, wie an den anderen Tagen. Ein milchiger Schleier hüllte die Gipfel in ein sanftes Licht und ein starker, etwas schmutzig gelber Dunst liess die entfernten Berge verschwimmen. Für die Abfahrt suchte Rolf wieder die Hänge mit der
geilsten Neigung aus. Der Sulzschnee war körnig und weich, so dass
wir genussvoll in die Tiefe carven, gleiten, schwingen, schweben
konnten. Als wir unter uns den Gasthof Tschuggen und die kleine Kirche
an der Passstrasse sehen konnten, wählte Rolf sorgfältig die
Sulzschneepiste über Kuppen und Mulden, durch Tälchen und
Känel, an Felsrücken und kleinen Alpenrosen-Inseln vorbei
zurück zu unserem Gasthof. |
|
|
Freitag, 28. März 2003: "Presto -
Prestissimo" Am Frühstückstisch um 7 Uhr überraschte uns Jacques mit der Mitteilung, dass er am Pischahorn eine Tageskarte lösen wolle. So marschierten wir um 8 Uhr zu fünft hinter Rolf über den knirschenden Firn. Bald schon steckten Vreni und ich die Harscheisen auf. Rolf zog eine bequeme Spur über den langsam ausapernden Steilhang zum Tschuggenberg hinauf. Wieder quollen reihenweise Skitouristen aus den Autos am Parkplatz und bildeten in verschiedenen Richtungen lange, dunkle Zottelreihen über die weissen Schneehänge. Zaghaft schien auch die Sonne durch die dünne, dunstgraue Wolkendecke und liess Milliarden von Lichtern auf den Firnfelder aufblinken. Wir hatten das Tschuggentälli erreicht und machten auf ca. 2'450 m eine Rast. Hinter uns folgte eine Gruppe, die offenbar von einem Bergführer begleitet war. Im Westen verhiess ein blauer Himmel eine sonnige Aufhellung. Im Norden und Osten hingegen waren graue Wolken zu sehen. Die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit waren hoch. Rolf setzte den Aufstieg fort und bog hinter den Felszacken (Punkt 2'753 m) nach Osten ab. Plötzlich begann es auch leicht zu flöckeln und schon bald wollten uns die Schollen unter dem Fell am Weiterkommen hindern. Die Gläser der Sonnenbrille beschlugen sich, so dass ich manchmal nur noch im Nebel die Enden der Olin-Ski von Rolf verschwimmen sah. Ich versuchte, nicht an die Steilheit des Aufschwungs zur Einsattelung vor dem Isentälli-Spitz zu denken, die Rolf mit wenigen Spitzkehren erreichbar machte. Hatte ich mich schon auf ein Skidepot unter den grossen Felsen links vom Pässchen eingestellt, so zog Rolf in weiteren Spitzkehren den steilen Gipfelhang empor, der zudem, mit rauhem, hartem Schnee und vielen Fussspuren, in deren tiefen Löchern ein eisblauer Schimmer lag, nicht sehr bequem zu begehen war. Die letzten paar Meter schulterten wir die Skier und erreichten aufatmend den Gipfel des Isentällispitzes (2'986 m) oder Gorihorns. Wie auf einem Melkstühlchen sassen wir jetzt auf diesem Firnspitz, futterten aus unseren Picknicksäckchen und blickten in die weite Bergwelt hinaus, die heute mit Dunst und tiefen Wolken nicht so viel hergab. Etwas bange fragte ich mich, wie ich heil mit Skiern an den Füssen von diesem Hochsitz herunter kommen könne. Die Worte des weisen Seneca trösteten mich nur bedingt, auch wenn ich ihm normalerweise beipflichte,
so wusste ich doch, dass er sich diese Weisheiten wohl kaum
auf Berg- und Skitouren erworben hatte. |
|
|
Samstag, 29. März 2003: "Adagio in
Moll" Um 7 Uhr liessen wir uns zum letzten Mal vom gastfreundlichen Tschuggenwirt den Kaffee servieren. Nach einem letzten Blick in Tschuggo's braune Hundeaugen und der Abschiedsfoto konnten wir mit Starthilfe - die Toyota-Batterie versagte ihren Dienst - die Heimreise antreten. In Davos erstanden wir in der Bäckerei Weber vis-à-vis der Parsennbahn eine Bündner Nusstorte und dann ging's durch das sonnige und nun merklich frühlingshafte Prättigau ins Unterland hinunter. Autoschlangen waren derweil in der entgegengesetzten Richtung unterwegs. In Landquart verabschiedeten wir uns im Moll-Akkord von Rolf, der hier mit kleinem Gepäck, wie mir schien, den Zug bestieg. Die Fahrt bis Riehen verlief, wenn man vom Verkehrsinfarkt bei der Durchfahrt der zweit-wichtigsten Schweizerstadt absieht, ohne Zwischenfall. Wir luden Vreni aus und schleppten kurz nach 12 Uhr unser Gepäck durch den Vorgarten. Umgehend folgte ich der Aufforderung von Radio DRS 1 den "Aufsteller der Woche" telefonisch zu melden und sprach auf Band:
Nach 13 Uhr wurde dieser Beitrag auch tatsächlich
gesendet. |
|
Hilfe zur Tourenplanung: | Landeskarte 1:25'000 | Blatt 1197 Davos | ||
Blatt 1217 Scalettapass | ||||
Skitourenkarte 1:50'000 | Blatt 248S Prättigau | |||
Blatt 258S Bergün |
Links: | adagio ALPINA (das Outdoor Unternehmen von Bergführer Rolf Sägesser) |